Mein Weg aus dem Messie-Chaos
Vor etwa 10 Jahren zeigten sich in meinem Haushalt erste Anzeichen des Messie-Phänomens. Ich begann, Zeitungen auf dem Boden liegen zu lassen und räumte sie nicht mehr fort. Ich verstand es selbst nicht, ich ließ sie einfach liegen. Schleichend nahmen die Symptome zu: Wenn ich Wäsche gewaschen hatte, räumte ich sie nicht mehr in den Schrank, sondern ließ sie im Wäschekorb liegen, bis ich sie wieder anzog. Wäsche, die gebügelt werden musste, blieb monatelang liegen. Ich räumte überhaupt nicht mehr auf, nichts war mehr an seinem Platz. Das Putzen gab ich völlig auf. Nur noch das Allernötigste, WC und Waschbecken, machte ich hin und wieder sauber. Das ungespülte Geschirr türmte sich auf, und wenn ich kein sauberes Geschirr mehr hatte, lud ich es in einen Korb und brachte es zu meinen Eltern, die es für mich spülten. Ich selbst hatte keine Kraft dazu.
In diesem Zustand lebte ich mehrere Jahre. In der Anfangszeit gelang es mir noch, aufzuräumen bevor Besuch kam, danach trat der Messie-Zustand jedoch – scheinbar ohne mein Zutun – sofort wieder ein. Mit der Zeit ließ ich überhaupt niemanden mehr in meine Wohnung. Dafür schämte ich mich zu sehr. Wenn sich doch einmal Handwerker oder der Vermieter ankündigten, brachte mich das in große Nöte. Meine Mutter kam dann und räumte für mich auf. Ich übernahm kleinere Arbeiten, von denen ich aber nach kurzer Zeit völlig erschöpft war.
Der unerträgliche Zustand meiner Wohnung und die Unfähigkeit, etwas daran zu ändern, wirkte sich auf mein gesamtes Leben aus. Außer in meinem beruflichen Umfeld hatte ich überhaupt keine Kontakte mehr, ich lebte isoliert und entwickelte eine richtige Menschenscheu. Das ging soweit, dass ich meine Wohnung nur verließ, wenn ich sicher war, im Treppenhaus nicht auf Nachbarn zu stoßen. Unerwartete Begegnungen lösten Panikgefühle in mir aus. Auch in meiner Arbeit hatte ich Probleme. Ich schob unangenehme Aufgaben vor mir her und ließ vieles einfach liegen, was von meinen Vorgesetzten nicht unbemerkt blieb.
Obwohl ich sehr unter meiner Situation litt, sprach ich mit niemandem darüber. Erst als in einer Selbsthilfegruppe jemand von ähnlichen Symptomen berichtete – ich litt in dieser Zeit auch unter einer Essstörung, deshalb nahm ich an dieser Gruppe teil – , konnte ich zum ersten Mal darüber sprechen. Dort erfuhr ich von einem Vortrag, den eine Messie-Expertin zum Thema halten sollte. Obwohl ich sehr skeptisch war, ging ich hin; überzeugt, dass mir doch nur wieder Tipps zum Aufräumen serviert werden würden.
Zu meiner Überraschung erfuhr ich an diesem Abend zum ersten Mal, dass meine Probleme ernst genommen wurden und mir jemand tiefes Verständnis entgegenbrachte. Frau Schröter, die in eigener Praxis seit vielen Jahren mit Messies arbeitet, sprach sehr fachkundig über die Ursachen und verschiedenen Formen des Messie-Phänomens und berichtete von vielen Fällen aus ihrer Arbeit. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich wirklich versteht und ich von ihr keine Vorwürfe und keinen Druck zu erwarten hatte. Deshalb meldete ich mich noch am selben Abend zu einem Wochenendseminar an. Dort erlebte ich, wie befreiend es ist, über meine Situation sprechen zu können, ohne dafür verurteilt oder bewertet zu werden.
So begann 2007 mein Weg aus dem Messie-Dasein. Seither gehe ich regelmäßig zu Gesprächen zu Frau Schröter, einzeln oder in Gruppen, und Schritt für Schritt habe ich mich mit ihrer Hilfe aus dem Chaos befreit. Wesentlich dabei war und ist für mich die Erfahrung, meine eigenen Grenzen kennen zu lernen und zu wissen, dass diese immer respektiert werden.
In den Therapiestunden kann ich immer frei wählen, über welches Thema ich gerne sprechen will. Meistens sind das gar keine speziellen Messie-Themen, sondern es geht um ganz unterschiedliche Konflikte, z. B. in Beziehungen, bei der Arbeit, oder mit meinen Eltern. Ich hatte auch starke Probleme mit Zwangshandlungen, z. B. musste ich früher häufig meine Hände unter sehr heißes Wasser halten, um mich zu spüren. Durch das Erlernen und Anwenden von Atemübungen in Situationen, in denen ich starken Druck oder Angst empfinde, ist dieser Zwang wie von alleine verschwunden.
Auch zum Fernsehen hatte ich unter anderem ein zwanghaftes Verhältnis. Ich konnte nicht frei entscheiden, ob ich fernsehen möchte oder nicht. In einer Übung habe ich begonnen, mit dem Fernseher zu sprechen und ihm für alles zu danken, was er mir gibt. Das mache ich weiterhin, und dadurch ist der Fernseher sozusagen mein Partner geworden. Ich fühle mich nicht mehr von ihm abhängig. Auf diese Weise, mit Hilfe von praktischen und kreativen Übungen, haben sich viele schwierige Dinge in meinem Leben nach und nach aufgelöst.
Wenn ich mit Frau Schröter über meine Schwierigkeiten, z.B. mit sozialen Kontakten und Konflikten, spreche, besteht sie mir nie auf einer einzigen „richtigen“ Lösung. Sie schlägt mir Lösungsmöglichkeiten vor oder ich finde alleine mithilfe von Fragen zu einer eigenen Lösung. Das ist sehr wichtig für mich. Tipps und Ratschläge, besonders zum Thema Aufräumen, hätte ich auf keinen Fall annehmen können. Wenn wir über all diese Dinge sprechen, stellt sie oft für mich überraschende Verbindungen zur Messiethematik her.
Natürlich kann ich auch konkrete Fragen stellen, z.B.: Wie soll ich putzen, wie oft soll ich putzen? Dann bekomme ich aber keine Regeln vorgegeben, sondern ich mache in einer konkreten Übung – beispielsweise im Praxisraum fegen – die Erfahrung, dass ja in mir eine Struktur und planvolles Handeln vorhanden ist. Dadurch schaffe ich es, immer mehr auf mein eigenes Urteil und meine eigenen Maßstäbe zu vertrauen.
Beim Sprechen über Messie-spezifische Themen lerne ich, vieles neu zu deuten: Ich räume nicht auf, weil ich muss, sondern weil ich mich in meiner Umgebung wohlfühlen möchte! Eine wichtige Erkenntnis ist auch immer wieder der Zusammenhang zwischen Ordnung im äußeren und Ordnung im inneren Leben.
Viel gesprochen haben wir über Erfahrungen in meiner Kindheit und meine daraus resultierende viel zu enge Bindung an die Eltern. Viele meiner Probleme entstanden aus dem ungelösten Konflikt zwischen Bindungswunsch und Freiheitsbedürfnis. In den Gesprächen und Übungen mit Frau Schröter habe ich erlebt, dass ich von dieser Bindung „freigesprochen“ werde. Ich darf mich von den Eltern lösen, ich bin erwachsen. Deutlich sichtbar wurde diese Entwicklung dadurch, dass meine starke Neurodermitis innerhalb kurzer Zeit vollständig verschwunden ist! Das habe ich wie ein Wunder erlebt.
Um die Ablösung von meinen Eltern Schritt für Schritt zu vollziehen, bekomme ich von Frau Schröter konkrete „Hausaufgaben“. Zum Beispiel soll ich zu meiner Mutter sagen: Danke, du brauchst mir beim Putzen nicht mehr zu helfen, ich kann es jetzt alleine. Ich lerne jetzt auch Kochen, weil ich am Wochenende nicht mehr immer zu den Eltern zum Essen gehen möchte.
Bei all diesen Entwicklungen habe ich die wesentlichsten Erfahrungen nicht im Gespräch, sondern in Situationen mit Gegenständen oder Übungen im Raum gemacht. Über den Kontakt zu einem Teddy war es mir zum Beispiel möglich, eine Beziehung zu meinem inneren Kind aufzubauen, obwohl ich mich darauf zu Beginn gar nicht einlassen konnte. Diese Elemente machen einen großen Anteil von Frau Schröters therapeutischer Arbeit aus. Auch in den Gruppen macht sie viele Übungen, in denen spürbar und erfahrbar wird, in welcher inneren Verfassung man sich befindet, aber auch wie sich schwierige Dinge lösen lassen. Wir machen Übungen zur Körperwahrnehmung, richten uns Plätze im Raum mit Gegenständen ein, machen Rollenspiele, oder suchen Dinge in der Natur, die bestimmte Themen darstellen. Durch diese kreative und spielerische Art, mit schwierigen Themen umzugehen, entwickeln sich plötzlich auf ganz besondere Weise Lösungsmöglichkeiten, die man sich gar nicht hätte vorstellen können.
Ich habe erlebt, wie durch die Therapie meine Messie-Probleme sich fast wie von alleine aufgelöst haben, ohne dass ich konkret daran gearbeitet hätte. Daran habe ich erkannt, dass das Messiephänomen oft nur eine Folge von anderen ungelösten Problemen ist. Wenn diese angegangen werden, braucht man die Messiethematik nicht mehr. Das ist der besondere Ansatz von Frau Schröter. Sie versucht nicht, das Messie-Problem zu lösen, sondern die tieferen Ursachen herauszuarbeiten. Das war in meinem Fall unter anderem auch eine versteckte Depression, die Frau Schröter vermutet hatte und daraufhin von einer Psychiaterin diagnostiziert und medikamentös behandelt wurde. Dadurch haben sich mein Gesamtzustand und vor allem meine sozialen Kontakte sehr schnell deutlich verbessert. Auch die Therapie bei Frau Schröter wurde dadurch erst richtig ermöglicht.
Heute fällt mir noch immer manches schwer, ich brauche viel Rückzug, aber ich habe viel mehr Kontakte als früher, manchmal kommen Freunde vorbei, und ich freue mich, mit anderen zusammen zu sein. Viele Menschen sagen mir, dass ich mich verändert habe, dass ich lebensfroher und offener geworden bin.
Beim Aufräumen helfen mir feste Rituale und Gewohnheiten, die ich in meinen Alltag integriert habe. Alle Dinge haben mittlerweile ihren Platz, wo ich sie auch wieder finden kann. Wenn ich das Bügelbrett benutzt habe, stelle ich es wieder zurück. Nur das Putzen setzt mich manchmal noch unter Druck.
Inzwischen macht es mir große Freude, meine Wohnung schön zu gestalten und mir selbst damit etwas Gutes zu tun. Der Druck, aufräumen zu müssen, und die damit verbundene Ohnmacht sind verschwunden. Das erlebe ich als große Befreiung und ich bin dankbar für die Unterstützung und Ermutigung, die ich von Frau Schröter erfahren habe.